Von der Frage „Warum benutzt du Linux?“ wurde ich vor kurzem kalt erwischt. Und bei den Flurgesprächen geht es immer nur um „Windows oder Mac?“. Doch es gibt uns, die kleine Schar an glücklichen Linuxnutzern, die mit dem System wie selbstverständlich arbeitet, nichts vermisst oder Nachteile wegen diverser Vorteile in Kauf nimmt. Zeit für eine Antwort …
Auch im Jahr 2019 scheint man immer noch zu den Exoten zu gehören, wenn man auf PC oder Notebook ein Linux laufen hat. Trotz ehemaligem Ubuntu-Hype und dem so entstandenen leisen Gefühl, dass Linux zwischenzeitlich doch endlich mal im Mainstream angekommen war. Doch das scheint doch alles sehr subjektiv zu sein, denn im Real Life muss ich andere Linuxnutzer mit der Lupe suchen. Mit einer sehr großen. Mac und Windows, wohin man schaut. Auch viele Weggefährten von einst haben sich von Linux mittlerweile verabschiedet und sind mit Mac oder Windows glücklich geworden, sogar einige einst richtig eingefleischte Linux-Fans haben irgendwann die Segel gestrichen. Die Leute, die Wert auf Stil legen, haben ihren Mac – und die große Masse ist pragmatisch mit dem Arbeitstier Windows unterwegs, so mein Eindruck.
Der Exotenstatus wurde mir kürzlich einmal wieder so richtig bewusst, als es in einem Gespräch darum ging, dass Mac OS ja viel besser und nervenschonender wäre als Windows – Linux kam in dem Gespräch gar nicht vor. Mein Einwand, dass auch ein Blick auf Linux lohnen würde, wurde allseits mit einem Blick beantwortet, als hätte ein Obdachloser gerade von seinen vergoldeten Wasserhähnen im Badezimmer erzählt – eine Mischung aus überheblichem Mitleid, peinlicher Berührtheit und raschem Wegsehen schlug mir entgegen. „Den kann man doch nicht ernst nehmen“ oder einfach nur „Häh?“ schien in den Köpfen vorzugehen.
„Warum benutzt du eigentlich Linux?“
Neulich stellte mir ein Kollege dann die Frage: „Warum benutzt du eigentlich Linux?“ Ja, warum eigentlich? Ich hatte tatsächlich keine spontane Antwort parat. Das Pinguinbetriebssystem auf dem Desktop ist für mich so selbstverständlich und Normalität, dass ich über die Frage erst einmal nachdenken musste. Mit den Vor- und Nachteilen hatte ich mich gedanklich schon ewig nicht mehr befasst.
Die Frage stellt sich normalerweise einfach nicht. Als jahrelanger Linuxnutzer benutzt man eben Linux, um es einmal platt zu sagen. Dass das für das Umfeld befremdlich wirken kann und Stirnrunzeln auslöst, darauf ist man dann gar nicht mehr vorbereitet. Wahrscheinlich muss ich gewirkt haben, als würde ich darüber nachdenken, wie man dem Pöbel nun am besten erklärt, warum man auch in der Küche goldene Wasserhähne haben sollte.
Weil man sich nicht mit weniger zufriedengeben muss
Warum also tut sich ein Nichtprogrammierer dieses komplizierte, unübersichtliche Server- und Nerd-System auf dem Desktop an? Mittlerweile natürlich aus simpler Gewohnheit. Da sind all die kleinen Tricks und Helferlein, die genialen Dinge, aus denen man auch mit Bordmitteln richtig viel zaubern kann bei der alltäglichen Arbeit. Mit dem Mausrad die Arbeitsfläche wechseln. Programme automatisch auf unterschiedliche Desktops sortieren lassen. Dateisortierfunktionen individuell über Kontextmenüs organisieren. Fensterlisten, die jeden Übersichtsmodus schlagen. Verschlüsselte FTP-Verbindungen direkt in den normalen Dateimanager integrieren. Und so weiter und so fort. Wenn ich dann doch mal unter Windows oder Mac unterwegs bin, dann fehlen mir all die Handgriffe, die man sich mit den Linuxoberflächen einrichten kann, schmerzlich. Ja, man kann auch mit Windows und Mac angenehm arbeiten, aber persönlich fehlt mir dort immer der letzte Schliff. Es fühlt sich irgendwie immer etwas umständlicher an.
„Für Linuxnutzer ist die neueste Oberfläche immer nur ein Angebot“
Aber da muss es ja irgendwann auch mal Gründe gegeben haben, warum ich erstmals zu Linux gegriffen habe, bevor ich mich an all die Annehmlichkeiten gewöhnen konnte. Und die damaligen Gründe sind eigentlich immer noch dieselben, die mich auch heute noch von Linux überzeugen würden: Unabhängigkeit, Sicherheit und Sympathie.
Sicherheit meint dabei gar nicht mal so sehr die Sicherheit vor Viren und Verschlüsselungstrojanern, sondern vor allem die Sicherheit, dass ein Betriebsystemhersteller nicht einfach entscheiden kann, mit dem nächsten Update irgendwelche Funktionen zu streichen oder mir neue Arbeitsabläufe aufzuzwingen. Denn für einen Linuxnutzer ist die neueste Oberfläche immer nur ein Angebot. Wenn’s gefällt, wird es benutzt, und wenn es nicht passt, wird es passend gemacht oder einfach eine Alternative genommen – im Fall der Fälle sogar eine Weiterentwicklung einer schon aufgegebenen, veralteten Oberfläche. Wie das aktuelle Windows nach dem übernächsten Update aussieht, ist ungewiss, bei einer LTS-Linuxdistribution kann ich mich darauf verlassen, dass die Buttons und Knöpfe auch in den nächsten 5 Jahren noch an derselben Stelle sitzen.
Damit ist auch schon die Unabhängigkeit skizziert, die durch die Möglichkeit einer sehr individuellen Nutzung besteht: Im Gegensatz zu Mac und Windows bekomme ich nicht nur eine Oberfläche vorgesetzt, sondern kann die zu meinen Anforderungen passende wählen. Aber bereits beim Unterbau hat man die freie Wahl, man nimmt das für seine Zwecke geeignetste Linux: Soll der Rechner jahrelang einfach nur identisch funktionieren? Zack, ab zu Debian & Co. Darf’s der letzte Schrei sein? Ab zu Fedora oder einer Rolling-Release-Distribution. Will man was lernen und sein System wirklich verstehen? Arch & Co.sagen herzlich willkommen. Denn „das eine Linux“ gibt es gar nicht, es existieren viele Ausprägungen um den Betriebssystemkern herum. Wie bei einem Tuschkasten: blaue, rote, grüne, schwarze und violette Distributionen, ganz nach Geschmack und Einsatzgebiet.
Und dann gibt es da noch so Kleinigkeiten, die mich woanders einfach nerven. Windows knallt mir in schöner Regelmäßigkeit ein Fenster über den Workflow, um mir mitzuteilen, dass Updates bereitstehen. Das erfordert dann meistens einen Neustart, während dem ich „den Computer nicht ausschalten darf“. Bei meinem Linux blinkt ein kleines Symbol in der Leiste – und die Installation läuft im Hintergrund ohne Neustart im laufenden Betrieb. Und während ich bei Windows 10 die Privatsphäreeinstellungen durcharbeiten muss, gibt es so etwas bei Linux erst gar nicht – Ausnahmen bestätigen die Regel. Bei Linux habe ich das Gefühl, nicht belästigt zu werden und ein System zu benutzen, das in meinem Interesse arbeitet. Bei Windows habe ich oft das Gefühl, dass da noch andere Interessen eine Rolle spielen.
Wenn der WLAN-Drucker nicht will
Natürlich gibt es auch Dinge, die nicht so schön sind. Zum Beispiel dass man für manche Programme dann doch wieder ein Windows braucht, gerade im beruflichen Umfeld. Und manchmal gibt es auch Momente, in denen die Vielfalt nervt und man sich nicht schon wieder zwischen hundert Möglichkeiten entscheiden will. Manchmal will man sich einfach nicht zwischen 50 Desktopkonfigurationen entscheiden müssen, von denen doch keine alles richtig kann. Oder ganz banale Sachen wollen einfach nicht klappen, wie z. B. die Druckerverbindung über das WLAN. Und bei der Software kann man zwar aus einem riesigen Fundus wählen, doch bei kommerziellen Lösungen muss man auf Webanwendungen ausweichen oder letztlich eben doch Windows oder Mac OS booten. Warum dann nicht gleich komplett Windows oder Mac nehmen? Weil ich damit auch auf die Vorteile verzichten würde. Wenn Linux out of the box funktioniert (was es meistens tut), dann ist es simpler, als jeder Windows-Installer sein kann, intuitiv und aus einem Guss benutzbar, wie es Mac-OS-Nutzer gewohnt sind, aber ohne dabei auf bestimmte Hardware beschränkt zu sein. Wenn es mal nicht funktioniert, dann ist zugegebenermaßen Bastelei angesagt – doch entweder findet man die richtige Lösung schon um die Ecke oder kann in den vielen Foren den Quasi-Live-Support der versammelten Linuxnutzerschaft in Anspruch nehmen – oder probiert einfach eine andere Farbe aus dem Tuschkasten aus.
Linux ist Luxus
Ich gehöre sicher nicht zu den ideologischen Verfechtern freier Software, obwohl auch ich von ihr profitiere. Als Anwender gefallen mir auch Windows und Mac OS, und meine alltägliche Arbeit könnte ich auch damit gut erledigen. Insofern – und gerade weil ich manchmal auch zu anderen Systemen wechseln muss – ist Linux letztendlich ein Luxus, den ich mir bewusst leiste. Ein Luxus, der von dem Gefühl bestimmt wird, beim technisch richtigen System gelandet zu sein, das das Beste aus allen Welten nach Lust und Laune bietet … und das dabei nie langweilig wird und immer wieder Spaß macht, statt für Frust zu sorgen. Weil man auch als Anwender zu einem großen Teil Kontrolle über das System hat. Weil man damit viel mehr Individualität umsetzen kann. Dafür nimmt man dann gern in Kauf, argwöhnisch beäugt zu werden, wenn man den Pinguin auf dem Schirm hat, obwohl man weder Server aufsetzt noch Anwendungen entwickelt. Als Feld-Wald-und-Wiesen-Anwender bleibe ich wohl ein Exot. Aber das aus Überzeugung.