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Weihnachten
in Berlin
Oh Du
Fröhliche...
Weihnachten
und Berlin - diese Begriffe stehen zueinander, wie etwa Negerkuss und
Mikrowelle. Was verbinden wir nicht alles mit Weihnachten?
Romantische Besinnlichkeit in einer winterlichen Umgebung, ein
familiär dominiertes Fest der Liebe, Ruhe, Glanz und einen Hauch
dieser Momente, die für die Ewigkeit bestimmt sind.
Willkommen in der Realität. Es fängt mit den Vorbereitungen
an. Beispiel Weihnachtseinkäufe. Sofern man den hektischen Trubel
heil überlebt und nicht von den einkaufenden Horden
niedergetrampelt wurde, die sich, geblendet von der medialen und
einzelhändlerischen Gehirnwäsche benehmen, als ob Weihnachten
in den nächsten Jahren ausfallen würde, hat man sich zwischen
all den "tollen Geschenkideen", die man in den weihnachtszeitlosen
Monaten nicht einmal geschenkt nehmen würde und nun dafür
maßlos überteuerte Preise bezahlt, sich mindestens eine
virenverursachte Krankheit eingefangen, deren Inkubationszeit genau an
Heiligabend endet. Damit macht man seiner Familie und Freunden
unabhängig von den ursprünglichen Plänen dann ein
zusätzliches "ganz besonderes Geschenk" (dessen Inkubationszeit
dann am Silvesterabend endet).
Das Übel beginnt im Grunde mit der Vorweihnachtszeit: Die Berliner
Zeitungen meldeten in der letzen Novemberwoche 2003: "16 der 45
Berliner
Weihnachtsmärkte haben geöffnet". Angeblich gibt es in keiner
anderen Stadt so viele verschiedene Märkte. Was sie nicht
erwähnten, ist die Tatsache, dass in Berlin niemand wirklich
weiß, was ein
Weihnachtsmarkt eigentlich ist. In andern Städten finden sie in
oft in rustikalem Ambiente, auf kopfsteingepflasterten
Marktplätzen zwischen mittelalterlichen Fachwerkhäusern oder
gesäumt von gotischen Kirchen und Bauten statt. Kunsthandwerker
bieten ihr Können dar, Glühwein und Gebäck verbreiten
den typischen Weihnachtsmarktduft und man schlendert gemütlich
durch die Stände und genießt ein Stück Tradition.
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Kommt
man aber nach Berlin, vielleicht sogar extra deswegen, um hier einen
Weihnachtsmarkt zu besuchen, in der Erwartung, einen schönen
großen, der Stadt angemessenen 'Advent-Event' zu finden, dann
sollte man sich
auf eine Überraschung gefasst machen: der typische Berliner
Weihnachtsmarkt ist klein, laut, überlaufen, liegt zwischen zwei
Hauptverkehrsstraßen oder an der Stadtautobahn
und besteht aus
einer handvoll Buden, die weihnachtlichen Plastik-Kitsch,
batteriebetrieben blinkende Weihnachtsmannmützen und
Handyzubehör verkaufen und der in seiner Tristesse meistens nicht
zu überbieten ist. Jeder Dorf-Weihnachtsmarkt ist dem vorzuziehen.
Eine Auswahl:
Spandau
Beispiel Spandauer Weihnachtsmarkt in der Nähe des
Bahnhofes in
der Altstadt: hier hat man versucht, sich noch etwas Mühe zu
gegeben: zwischen den Ständen mit gelangweilt-grimmig aussehenden
Verkäufern stehen große Feuerstellen, in denen Holzscheite
vor sich hinkokeln und einen Großteil des Marktes mit
Kohlenmonoxyden verqualmen. Da kommt so richtig Atmosphäre auf.
Die nahegelegenen Straßenkreuzungen tun ein übriges zur
akustischen Untermalung der Szenerie, ebenso wie die zahlreichen
Kaufhäuser in der näheren Umgebung, in denen man alternativ
sein Geld loswerden kann, wenn der Sauerstoff auf dem Weihnachtsmarkt
selbst zu knapp wird.
Mitte -
Prinzenpalais
Zwischen der altehrwürdigen
Humboldt-Universität, der
Staatsoper, dem Berliner Dom und Honeckers Lampenladen hat sich am
Prinzenpalais ein weiterer Weihnachtsmarkt etabliert - über den
man allerdings nicht viel sagen kann - denn man kommt nicht rein. Der
kleine Platz ist derart überlaufen, dass sich die Leute
gegenseitig tottreten, wenn sie sich nicht gerade untereinander die
Krakauer Würstchen um die Ohren hauen, den Glühwein auf den
Mänteln der Nachdrängelnden verschütten oder die
gebrannten
Mandeln in den Haaren der Umstehenden verlieren. Das Merkmal
Hauptverkehrsstraße ist hier selbstverständlich auch
gegeben.
Mitte -
Gendarmenmarkt
Ganz neu ist der auf Tradition getrimmte
Weihnachtsmarkt am
Gendarmenmarkt. Kunsthandwerk, klassische Atmosphäre und ein Hauch
von echter Weihnachtsstimmung - allerdings nicht inmitten der insgeheim
erwarteten Holzhäuschen, sondern in weißen Zelten -
ausgesprochen weihnachtlich für unsere Breitengrade. Weiterer
Haken ist, dass man vor dem
eigentlichen Geldausgeben erstmal Eintritt zahlen muss.
Breitscheidtplatz
am Ku'damm
Wo andere Weihnachtsmärkte nur mit einer Kreuzung
oder Autobahn
aufwarten können, hat der Markt am Breitscheidtplatz gleich zwei
Hauptverkehrsstraßen zu bieten: links und rechts der armseligen
Buden fließt der rauschende Großstadtverkehr und nebelt die
um die Gedächtniskirche drapierten Handyoberschalen-Vertreter mit
Abgasen und der passenden Geräuschkulisse ein. Der obligatorische
Weihnachtsbaum ist aufgrund der überlappenden Leuchtreklamen des
KaDeWe und Europacenters fast nicht wahrzunehmen. Der benachbarte
Bahnhof Zoo unterstützt das schmuddelige Gesamtkonzept
wirkungsvoll.
Alexanderplatz
Der "Weihnachtsmarkt" am Alexanderplatz schießt
den Vogel ab. Es
ist der größte der Berliner Märkte und auch zugleich
der, äh, soziokulturell interessanteste. Im Osten der Republik
scheint man in den letzten Jahrzehnten ohnehin ein etwas anderes
Verständnis von einem Weihnachtsmarkt entwickelt zu haben als in
den alten Bundesländern, und das Ergebnis lässt sich am Alex
bestaunen: Das, was als Weihnachtsmarkt beworben wird, entpuppt sich
als waschechter Rummelplatz. Fahrgeschäfte aller Art,
Geisterbahnen, Losbuden, Autoscooter und jede Menge andere
Schaustellerei. Nur zwischendrin der ein oder andere
Kunsthandwerksstand oder Glühweinverkäufer. Die
"weihnachtliche Musik" aus in gleichmäßigen Abständen
aufgestellten Lautsprecherboxen wird problemlos vom
"Super-Mega-Twister" und vom Geschrei der Spielbudenbetreiber
übertönt. Die anheimelnde Atmosphäre zwischen
Hochhäusern, Beton und Plattenbauten gibt einem dann den Rest.
Winterfeldtplatz,
Schöneberg
Der romantische Name täuscht gewaltig: Umzingelt von
hässlichen Wohnsilos der 80er Jahre tummeln sich in anheimelnder
Ghetto-Atmosphäre neben einem Döner-Stand, einem Asia-Imbiss
und dem obligatorischen Handyoberschalen-Verkäufer jede Menge
semiprofessionelles ABM-Weihnachtsmarktpersonal, das seine
selbstgehäkelten
Handschuhe, seinen Fimo-Knetschmuck oder sonstige Wohnzimmerbasteleien
unters Volk zu bringen versucht. Ein provisorischer Bratwurststand und
ein Kerzenverkäufer runden das Bild ab.
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Wenn man die
Vorweihnachtszeit in Berlin ohne seelische Schäden
überstanden hat, naht das Fest der Feste: Wenn man dann nicht
gerade mit der der weiteren Verbreitung seiner Influenza
beschäftigt ist, kann man den Heiligabend in vollem Glanz
genießen. In der Nacht zuvor ist vielleicht sogar Schnee
gefallen, der Straßen und Häuser in eine perfekte
Weihnachtskulisse verwandelt hat, der glücklicherweise aber
bereits vom Winterdienst der Stadtreinigung beseitigt und in ein
braunes, matschiges Etwas verwandelt wurde, sodass der Anblick wieder
einem übergelaufen-verbranntem Milchreis gleicht. Wo der
Winterdienst zu spät kam, erledigte der gewöhnliche
Straßenverkehr den Rest. Kurz vor der Bescherung schließt
man besser die Fenster, dann nämlich, wenn in ihrer Straße
gleichzeitig 30 als Weihnachtsmänner verkleidete, unterbezahlte
Studenten ihren Beitrag zur Verbreitung ihrer Grippeviren leisten,
unschuldige Kinder verunsichern und zu diesem Zweck mit ihren nicht
mehr durch den nächsten TÜV kommenden Vehikeln durch die
Stille der Nacht knattern. Aber sonst steht einer gemütlichen
Feier wirklich nichts mehr im Wege.
Fröhliche Weihnachten, Berlin!
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