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Personen

Die Kamikaze-Radfahrer:
Unterwegs in der Dunkelheit

Warum Fahrradfahren ohne Licht bei Dämmerung und Dunkelheit keine gute Idee ist.




In der Presse ist von Zeit zu Zeit immer wieder von Kampfradlern zu lesen, rücksichtslose Velofahrer, die grundsätzlich nur bei Rotlicht Kreuzungen querend harmlose Autofahrer erschrecken und auf Gehwegen vorsätzlich die als störend empfundenen Fußgänger samt angeleinten Kleintieren umnieten.

Weißer Reflektor in NahaufnahmeOb es den „Kampfradler“ tatsächlich gibt oder er nur ein Konstrukt der Boulevardmedien ist, sei dahingestellt, sicher ist jedoch, dass der Kamikaze-Radler existiert. Vor allem in der dunklen Jahreszeit wird der vermeintliche Kampfradler zum Kamikaze, der nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst gefährdet. Ein furchtloser, aber ideologisch verblendeter („Ich brauch kein Licht!“) Krieger auf zwei Rädern, der sich selbst im Straßenverkehr zu opfern bereit ist bzw. dem Zufall dabei behilflich, sich selbst auf die Kühlerhaube des nächstbesten PKWs zu bekommen. Wir unterscheiden dabei zwischen 3 Arten des Kamikazeradlers:


Typ A: Der Dunkelradler
Der typische Dunkelradler ist entweder im noch jugendlichen Alter (Licht? Uncool!) oder bereits im fortgeschrittenen Rentenalter (Dynamo? Zu schwergängig!). Besonderes Kennzeichen des Dunkelradlers: Jegliches Fehlen jeglichen Lichtes. Der Dunkelradler radelt in jugendlichem Leichtsinn oder mit von Altersstarrsinn geprägtem Fatalismus komplett unbeleuchtet sowohl in der Dämmerung als auch in völliger Dunkelheit auch auf unbeleuchteten Straßen und Radwegen und vertraut darauf, dass die winzigen, verdreckten Reflektoren schon für das nötigste Gesehenwerden sorgen werden.
Kamikazefaktor: 100%

Typ B: Der Batterieradler
Der Möchtegernprofi zwischen 35 und 55. Fährt kein leichtes Sportrad, sondern eine schlecht gefederte Imitation und wippt bei Übergewicht eher auf und ab, statt voranzukommen. Hat aber trotzdem oder gerade deswegen („Rennräder haben kein Licht!“) kein festinstalliertes Lichtsystem am Rad. Funzelt stattdessen mit gerade sterbenden Batterien vor sich hin, sodass die Zigarette im Mundwinkel die Umgebung stärker erhellt als der Scheinwerfer. Im Ergebnis allerdings noch um Längen sichtbarer als der Dunkelradler.
Kamikazefaktor: 0-100% (je nach verbleibender Batteriestärke)

Typ C: Der Dauerblinker
Der ambitionierte Gelegenheitsradfahrer zwischen 25 und 35 Jahren verzichtet ebenfalls auf normales Licht und glaubt in dauerblinkenden Batterieleuchten eine perfekte Alternative zu Scheinwerfer und Rücklicht gefunden zu haben. Sieht selbst nichts von der Straße, denkt aber, besser gesehen zu werden als die langweiligen Normallichtradler. Wird bei langsamem Blinken von den übrigen Verkehrsteilnehmern tatsächlich aber nur alle paar Meter überhaupt wahrgenommen – von blinzelnden Autofahrern mit nervösen Augenlidern gar nicht. Zieht dafür die Aufmerksamkeit in den ungünstigsten Momenten auf sich, lenkt die anderen Verkehrsteilnehmer vom Verkehrsgeschehen ab und löst mit hektischem Blinklicht Epilepsieanfälle aus. Von der Idiotie irgendwo zwischen Typ A und Typ B anzusiedeln, daher:
Kamikazefaktor: 50 Prozent


helle LED-Fahrradfrontleuchte in Dunkelheit


Dann gibt es selbstverständlich auch noch das Gegenbeispiel: Radfahrer, die nach dem Motto „viel hilft viel“ jede nur erdenkliche passive und aktive Beleuchtungsquelle ans Rad pappen. Da sieht man dann nicht zugelassene, hochgerüstete – und vermutlich atombetriebene – Fahrradscheinwerfer, die dem Entgegenkommenden statt einem Drahtesel ein landendes Flugzeug suggerieren. Dazu kommen Helm- und Stirnleuchten, beleuchtete Speichen, gelbe und weiße Katzenaugen, Glitzerreifen, Reflexaufkleber am Rahmen und 4 Sorten Rücklichter in 7 Farbtönen – natürlich gleichzeitig in Betrieb. Dass nicht auch Feuerwerk zum Einsatz kommt, scheint nur dem Zufall geschuldet zu sein.


Ich leuchte, also bin ich.

Der Witz ist: dieses Vorgehen ist sogar klug. Je heller und besser sichtbar ein Radfahrer im Dunkeln ist, desto höher sind seine Überlebenschancen. Der Preis, den man dafür zahlt, ist lediglich der zunehmende Lächerlichkeitsfaktor, wenn man wie ein Weihnachtsbaum durch die Gegend strampelt. Und ganz legal ist es auch nicht: der Gesetzgeber will nicht, dass Fahrräder heller leuchten als Motorräder und Autos.

Wer optimale Sicherheit bei gesetzeskonformem Verhalten will, hat dennoch einige Möglichkeiten: Statt einem kleinen Rücklicht mit einzelnem Leuchtpunkt kann man ein möglichst breites, großflächiges Rücklicht nehmen. Dazu viele Reflektoren und vor allem helle Kleidung.

Ein zweites, batteriebetriebenes Rücklicht zur normalen Dynamo-Rückleuchte ist auch keine schlechte Idee. Man verdoppelt die Rückleuchtfläche – und fällt einmal eine Lampe aus (was man während der Fahrt nicht sofort bemerkt), bleibt die andere noch übrig. Das ist auch legal möglich: die deutsche Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) erlaubt für Fahrräder ein zweites Rücklicht, wenn es unabhängig vom ersten betrieben wird. Dynamorücklicht plus Batterierücklicht ist also kein Problem (nur blinken darf es nicht).

Batterielicht kann also tatsächlich eine gute Ergänzung sein, als Alternative taugt es weniger. Denn kaum jemand hat tatsächlich Ersatzakkus dabei oder wechselt unterwegs Batterien.


Reflektoren leuchten nicht


Auch, wenn Reflektoren „passive Beleuchtung“ genannt werden, ein Lichtersatz sind sie nicht. Auf Reflektoren allein sollte man sich keinesfalls verlassen, denn ihre Funktion wird meist überschätzt. Reflektoren reflektieren auftreffendes Licht nur dann optimal, wenn sie im perfekten Winkel angestrahlt werden – und das ist selten der Fall. Besser als kleine Katzenaugen in den Speichen sind daher in den Fahrradreifen integrierte Reflexstreifen (da größere Fläche abdeckend) und noch besser sichtbar (da rundum reflektierend) sind Reflektorstäbchen, die auf die Speichen geschoben werden. Aber auch diese werden überhaupt erst sichtbar, wenn Scheinwerferlicht auf sie fällt.

roter Reflektor in NahaufnahmeBereits bei beginnender Dämmerung sollte man daher das Fahrradlicht einschalten – der Gewinn an Aufmerksamkeit ist immens. Selbst tagsüber werden mit Licht fahrende Radfahrer besser wahrgenommen, deshalb spricht auch nichts dagegen, tagsüber mit Licht zu fahren, wenn man etwa einen Nabendynamo – der sowieso die ganze Zeit über in Betrieb ist – sein Eigen nennt. Auch Warnwesten, die viele Radler zusätzlich über der Jacke tragen, sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Bei Tageslicht sind die Neonfarben sehr auffällig, bei Dunkelheit und Dämmerung ist eine Warnweste jedoch genauso auffällig wie eine dunkle Jacke – wenn nicht gerade Licht direkt darauf fällt. Erst recht, wenn fast die ganze Weste vom ebenfalls getragenen Rucksack verdeckt wird.


Flugzeug – Wolkenkratzer – Fahrrad


Weiße und rote Blinklichter an Fahrrädern werden sehr kontrovers diskutiert. De facto nutzen sie sehr viele Radler, obwohl sie im Straßenverkehr nicht zugelassen sind. Durch die Nacht blinkende Radfahrer wollen besonders gut gesehen werden – und erreichen oftmals nur das Gegenteil. Zwar stimmt es, dass Blinklichter die Aufmerksamkeit stärker auf sich ziehen als gleichmäßige Beleuchtung, der Radfahrer gerät eher ins Blickfeld, da blinkende Lichter eher als Warnlicht wahrgenommen werden. Aber Blinklichter haben auch einen entscheidenden Nachteil: Die Positionsbestimmung eines nur blinkenden Radfahrers ist stark erschwert.

Ein „Scheinwerfer“ etwa, der nur alle paar Sekunden sichtbar ist, macht das Fahrrad in Dunkelheit nicht dauerhaft sichtbar, sondern bei einem flott fahrenden Radfahrer nur alle paar Meter. Das Gegenüber im Verkehr kann dadurch nur grob einschätzen, wie schnell sich das Fahrrad bewegt, bzw. wo es sich im Moment der Blinkpause gerade befindet, da er die Blinkfrequenz nicht kennt. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn auch das Gegenüber in Bewegung ist. Ein blinkender Radfahrer wird somit zwar sofort als Radfahrer erkannt, taucht aber u.U. schneller aus dem Nichts auf, als ihm lieb sein kann. Zusätzliche Blinklichter wären (wenn es legal wäre) eine sinnvolle Option, aber als alleinige Lösung sind blinkende Leuchten als Fahrradlicht kaum geeignet.

Hinzu kommen dogmatische Überlegungen: ein normaler Verkehrsteilnehmer sollte nicht vor sich warnen müssen, denn er ist eben ein normaler Verkehrsteilnehmer. Durch das dauerhaft warnende Blinken gibt ein Radfahrer quasi seine Stellung als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer auf, er macht sich zu etwas Besonderem, extra Schützenswertem, das eher auf Radwege als auf die Straße gehört.


FahrradrücklichtIch sehe was, was du nicht siehst

Der Mensch macht intuitiv den Fehler, zu glauben, dass der andere ihn genauso gut sieht wie er selbst den anderen. Doch gerade für Autofahrer trifft das nicht zu: durch die Geschwindigkeit werden im Inneren des Wagens unbeleuchtete Ob- und Subjekte erst im letzten Moment erkannt, wenn sie direkt im Lichtkegel des Scheinwerfers stehen, alles Übrige ist in nahezu völlige Dunkelheit getaucht. Fahrradreflektoren verschwimmen oft mit der Masse der Reflektoren der am Straßenrand parkenden Autos. Dazu kommen Reflexionen auf der Windschutzscheibe und Blendungen durch das Licht von Straßenausleuchtung oder Gegenverkehr. Unbeleuchtete oder schlecht beleuchtete Verkehrsteilnehmer werden daher noch schlechter wahrgenommen. Im Zweifel sollte man daher immer davon ausgehen, dass ein Auto einen selbst überhaupt nicht sieht, auch, wenn es nur langsam fährt.

Doch Radfahrer gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch andere im Verkehr, und sie vergessen, dass sie es nicht nur mit Autofahrern und hellen Scheinwerfern, sondern auch mit Fußgängern und anderen Radfahrern zu tun haben, die sie mangels ausreichender eigener Ausleuchtleistung zum Erhellen von Reflektoren kaum oder überhaupt nicht wahrnehmen. Ob als Opfer oder auch Täter: Unbeleuchtetes Radfahren auf dunklen Wegen und Straßen bleibt ein Kamikazeunternehmen.



Artikel vom 20.11.2011
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11 Min., Aufnahme vom 21.11.2011, Sprecher: Der Autor



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