Buttons?
Stellen
Sie sich vor, Sie stehen in der Küche und schälen Kartoffeln (wenn sie nicht
ausgerechnet gerade Fertig-Bratkartoffeln aus der Packung nehmen) und hinterlassen so eine
richtige schöne Sauerei. Die Abfälle wischen sie mit einem
Küchentuch auf und befördern alles mit einem gekonnten Wurf
in den nahestehenden Mülleimer. Was aber wäre, wenn Ihr
Mülleimer die Annahme der schön matschigen
Küchenabfälle verweigern und alles wieder ausspucken
würde? Wenn der Müll wie im Kinderfernsehen ein Gesicht
bekäme, sie mit großen Augen ansehen und fragen würde:
"Willst Du den Dreck wirklich wegschmeißen? - Überleg' es Dir
doch noch einmal!"
Aus ökologischer Sicht wäre dieses Verhalten eines
Müllschluckers nichteinmal das Schlechteste, aber
glücklicherweise verrichtet die große Mehrheit aller im
Dienst befindlichen Abfallbehältnisse brav ihren Dienst. Etwas anderes
wäre auch kaum vorstellbar. Kaum vorstellbar? An dieser Stelle
müssen wir uns leider eingestehen, dass uns die Realität
längst eingeholt hat: dann nämlich, wenn sie virtuell ist und
mit ihr auch die Mülleimer:
In einer virtuellen Küche hätte man uns schon längst mit
Nachfragen überschüttet: "Willst Du wirklich das
Schälmesser in die Hand nehmen? Willst Du es auch wirklich
benutzen? Sicher? Willst Du damit wirklich Kartoffeln schälen?
Wirklich diese Kartoffeln? Diese eine hier? Willst Du die Schale
wirklich auf das Küchentuch fallen lassen? Wirklich auf dieses
eine Küchentuch hier? Bist Du sicher? Ganz sicher? Und willst Du wirklich zum
Mülleimer gehen? Willst Du das Küchentuch wirklich wegwerfen?
Wirklich in diesen Mülleimer?"
Das alles müsste man durch
Klicken auf die Schaltflächen [ja], [nein] oder [abbrechen]
quittieren, wobei das Anklicken von [nein] oder [abbrechen] beides zur
Folge hätte, dass der Mülleimer explodieren und die
Kartoffeln ihre Schale wiederbekämen. Spätestens jetzt würde man
eine Haushälterin engagieren oder die Küche umtauschen wollen.
Am eigenen Rechner nimmt man diese Gängelei eigenartigerweise hin.
Wie hypnotisiert wartet man selbst bei den banalsten Vorgängen wie
selbstverständlich auf erscheinende Abfragedialoge, deren
Schaltflächen man wie paralysiert bedient. Eigentlich ein Wunder,
dass noch keine Nachfragen erscheinen, wenn man zum Schreiben eines
Textes einzelne Buchstaben auf der Tastatur drückt.
Betriebssysteme und Anwendungsprogramme erziehen uns seit Jahrzehnten
zu willfährigen [Ja]- und [OK]-Klickern, weil Softwareautoren
uns einfachen Anwendern nicht zutrauen, dass wir eine Datei im
Papierkorb wiederfinden, wenn wir vorher keinen Bestätigungsdialog
gemeistert haben. Die Folge ist Konditionierung; der antrainierte
"OK-Klick-Reflex" geht uns ins Blut über. Wundert sich deshalb
eigentlich wirklich noch jemand, weshalb sich so viele Dialer, Viren
und Trojaner installieren können?
Erklärungsversuche
Die Usability-Lehre könnte schuld sein. Usability-Studien haben derzeit
Konjunktur wie noch nie und Nutzbarkeitsanalysen stehen auch für
den Laien immer stärker im Mittelpunkt des Interesses.
Programmierer müssen sich daher immer öfter an der Frage
messen lassen, ob ihre Erzeugnisse denn auch ohne Handbuchstudium
intuitiv vom Fleck weg benutzbar sind. Als Maßstab dafür
dient der vermutete Durchschnittsnutzer, der ein möglichst
selbsterklärendes Programm ohne Schwierigkeiten bedienen
können soll. Doch leider scheint bei der Programmierung von
Softwareroutinen eben nicht dieser Durchschnittsnutzer, sondern der
sprichwörtliche DAU als Leitbild zu dienen; der durchschnittliche
Softwareautor scheint seine Zielgruppe als immerwährende
Anfänger zu betrachten, die über keinerlei Lernfähigkeit
verfügen. Deshalb werden überall überflüssige
Erinnerungsdialoge eingebaut, die selbst Kinder und störrische
Rentner unterfordern.
Doch es gibt Hoffnung. Es gibt bei der ganzen nervigen Abfragerei auch
Ansätze, dem Usability-Gedanken stärker Rechnung zu tragen, indem die
Abfrage beim Löschen von Dateien zwar erhalten bleibt, das
Erfassen der Frage aber deutlich vereinfacht wird, ohne dabei jedoch
die Intelligenz des Nutzers zu beleidigen oder seine
Wahlmöglichkeiten künstlich einzuschränken:
Doch es geht noch einfacher. Sofern man mal auf die Idee kommt, dass
der Papierkorb auch ein Kontextmenü hat und sich dort auch ein
Einstellungsmenü befindet. Und dann trifft einen schlagartig die
Erkenntnis, dass sich das Häkchen vor dem Punkt
"Bestätigungsdialog beim Löschen von Dateien anzeigen" auch
entfernen lässt.
Assistenten
Generell
hat es der Computernutzer nicht leicht. Nicht nur sein Betriebssystem
lässt eine Vielzahl von Bestätigungsdialogen auf ihn
niederhageln, sondern jedes einzelne Programm hält meist eine
nette Auswahl von Abfragefensterchen für ihn bereit. Bei der
erstmaligen Einrichtung und Konfiguration einer Software zeigt sich dann
naturgemäß das gesamte Potential: Bevor die simpelsten Dinge
wie E-Mail-Schreiben oder das Verwalten der Digitalkamerafotos gelingen
will, darf der Proband einen Parcours von Einstellungen meistern.
Schön, wenn dann Assistenten (im Englischen: "Wizards" = deshalb
findet sich
manchmal ein Zauberer in der Piktogrammsprache - zu blöd, wenn man
das als deutscher Muttersprachler nicht weiß) bereitstehen, die
uns Schritt für Schritt durch den Dschungel der notwendigen
Pflichtangaben führen. Auch Mozilla bietet einen Assistenten an:
Der Mailkonteneinrichtungsassistent (Service für
Rechtschreibanarchisten: "Mail Konto Einrichtungs Assistent") startet
automatisch, sobald man das Mailprogramm zum ersten Mal startet. Leider
auch, wenn man z.B. im Browserfenster nur versehentlich den Mail-Button
getroffen hat (wieso fragt mich da eigentlich niemand, ob ich diesen
Knopf wirklich drücken wollte?!) und man die Mailkomponente daher
auch nicht konfigurieren möchte.
Aber für diesen Fall haben die Entwickler klugerweise vorgesorgt:
es gibt einen [Abbrechen]-Knopf. Doch wie sollte es anders sein:
natürlich muss man auch hier
vorher bestätigen, dass man wirklich nicht weitermachen
möchte, denn schließlich könnte ein Nutzer, der willig
ist, den Mailer zu benutzen, ebenfalls auch nur aus Versehen den
Abbrechen-Knopf getroffen haben. Deshalb fragt uns das Programm, um
ganz sicher zu gehen, also noch einmal nach unsereren wirklichen
Wünschen:
Der arme Account-Assistent. Es wird schmerzhaft werden, aber ja, wir wollen ihn wirklich abbrechen.
Und nun? Für welchen der beiden angebotenen Knöpfe
würden Sie sich entscheiden, wenn sie den Einrichtungsvorgang abbrechen
wollten? Den Abbrechen-Button oder den Beenden-Button?
Ich persönlich erwische grundsätzlich den hier:
Ist natürlich falsch. Um den Assistenten abzubrechen, muss man nicht auf Abbrechen, sondern
auf Beenden klicken. Sonst wird nämlich
selbstverständlich nur der Assistentenbeendigungsvorgang
abgebrochen. Logisch, oder? Egal, die Button-Verschwörung hat
wieder ein weiteres Opfer gefunden. Und wieder einmal merkt man sich
unterbewusst, dass es sich eher lohnt, doch lieber blind immer den
ausgewählten Vorgaben zu folgen, anstatt selbst zu denken und sich
bewusst für eine Option zu entscheiden.
Webseitenadaptionen
Gut, das Problem beim Dateienlöschen unter Windows ist
gelöst und an die Eigenheiten seiner Lieblingsprogramme
gewöhnt man sich irgendwann - aber es
lauert schon die nächste Hürde: im Web. Bewegt man sich
surfend durch
die Welt, dann erwartet man gelegentlich vielleicht mal einen Hinweis,
dass eine bestimmte Browserfunkion nicht aktiviert ist oder eine
Meldung, die mitteilt, dass eine bestimmte Seite nicht erreichbar ist
oder die Bitte um die Erlaubnis zum Setzen enes Cookies oder aber ein Formular beschwert sich, wenn man ein Pflichtfeld ausgelassen hat. Das war's dann aber auch schon, was der Nutzer im Web an Dialogen sehen möchte.
Glücklicherweise ist es auf Webseiten noch Konsens, dass man
normalerweise davon ausgehen kann, dass wenn man auf einen Link oder
eine Graphik klickt, die erhoffte Reaktion sofort und ohne Umwege
erfolgt. Doch das Beispiel der softwareseitigen
Bestätigungsbuttonhysterie macht mittlerweile auch im Netz Schule:
zum Beispiel beim Onlinebankingportal der Dresdner Bank. Die Macher
dieser Seite scheinen zu glauben, dass niemand ernsthaft in
Erwägung ziehen könnte, ihr toll gestaltetes Portal (keine
Titel-Attribute hinter den Graphiken) wieder zu verlassen, und wenn man
auf die Schaltfläche "Logout" geklickt habe, müsse man sich
entweder geirrt haben oder zu den Grobmotorikern gehören. Nicht
anders ist diese Abfrage zu verstehen:
Man möchte am liebsten jedesmal entgegnen: "Nein, ich wollte nur mal den Button ausprobieren!"
Extrembestätigungsdialoging
Auf die Spitze treibt es allerdings StarOffice. Ein großer
Vorteil der Bürosuite ist die Möglichkeit, auch
programmfremde Formate lesen und generieren zu können, z.B.
Microsofts Office-Dateien bearbeiten oder einen StarOffice-Text in ein
Word-Dokument zu verwandeln. Doch dabei scheinen die Verantwortlichen
dem Nutzer ihrer Software mal wieder relativ wenig zuzutrauen. Der
Verdacht drängt sich auf, als hielte man im Hause Sun den Anwender
für jemanden, der im besonderen Maße nicht wisse, was er
tue. Versuchen wir doch mal, eine in StarOffice 7 bearbeitete Seite
zurück in Microsofts Word-Format zu speichern:
Nein, möchte ich nicht. Dennoch eigentlich eine sinnvolle Warnung.
Leider ist dieser Hinweis nicht-optional. Das bedeutet, mit jedem
erneuten Bearbeiten darf man sich wieder mit dieser Romanfassung eines
Dialoges beschäftigen. Bei häufigem Bearbeiten von
Fremdformaten wird die Toleranzgrenze daher schnell erreicht. Aber
StarOffice belässt es nicht dabei. Wenn man das Programm
endgültig schließt, wird gleich noch eine kleine Erinnerung
hinterhergeschickt - man könnte die soeben gesehene Warnung und
den Umstand, dass man Word-Seiten bearbeitet, ja schon wieder vergessen
haben:
Auch diese Meldung lässt sich nicht für die Zukunft abschalten. Eine Klickorgie.
Der Schluss
Alle
Erfahrungen zusammengenommen lassen nur einen Schluss zu. Web-
und Softwaredesigner machen gemeinsame Sache, um uns naive Nutzer
langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben. Wenn es überhaupt
mal "erweiterte Einstellungen" gibt, mit denen man die dämlichsten
der Dialoge für immer beseitigen kann, dann sind sie so gut
versteckt, dass man sie garantiert nicht findet und sonst ist man
sowieso den aufploppenden Quälgeistern hilflos ausgeliefert.
Betriebssysteme, Anwendungssoftware und nun auch zunehmend Webseiten
sind offenbar alle Teil einer einzigen großen
Button-Verschwörung.
Nachtrag
Doch was ist das? Klickt man heute einmal auf die
"Abmelden"-Schaltfläche der Dresdner Bank, ist man ohne weitere Abfrage
schlicht und einfach draußen aus dem Portal. Ey, das könnt ihr doch
nicht machen! Ich wollte doch nur mal den Button ausprobieren!
Artikel vom 30.9.2004
letzte Änderung am 14.6.2008
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