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Tonträger? Was war das nochmal?
Wie man durch Kundenverachtung auf seiner Musik sitzenbleibt.





Musik kaufen? Geht gar nicht.

Musik kann man nicht kaufen. Rechtlich gesehen zumindest. Denn die Urheberrechte (umgangssprachlich: das "Copyright") bleiben bei den Musizierenden und ihren Produzenten. Erwerben kann man nur die CD, die MP3-Datei etc. - und damit die Möglichkeit, die darauf enthaltene Musik anzuhören. Eben deswegen ist es meist auch nicht erlaubt, erworbene Lieder selbst wieder erneut, z.B. in Internettauschbörsen, anzubieten - denn die Musik gehört einem ja nicht. Doch dem durchschnittlichen Konsumenten sind solche urheberrechtlichen Feinheiten und die Verwertungsrechte der Musikindustrie normalerweise egal oder er hat sogar noch nie darüber nachgedacht. Er will einfach nur Musik kaufen und vor allem einfach nur hören, anstatt sich vorher mit dem Dickicht von Verwertungsregelungen vertraut zu machen.

Doch auch von Seiten der Musikindustrie hört man bisweilen Vereinfachungen: die sieht Musik gerne schonmal als eine Packung Milch, wenn es darum geht, zu veranschaulichen, warum man eine Bagatellklausel im Urheberrecht nicht zulassen sollte; im Supermarkt dürfe man ja auch nicht einfach die Milch so mitnehmen, nur weil sich bei so vielen Ladendieben die Strafverfolgung nicht lohne - jeder müsse brav für jeden Liter bezahlen. Nur eine Kleinigkeit fällt dabei ein wenig unter den Tisch: Milch kann man kaufen, man kann sie sich aber genausogut bei Freunden oder Nachbarn borgen - aber vor allem: wenn man sie ersteinmal hat, dann kann man damit anstellen, was man möchte. Sie trinken, kochen, Kleinkinder damit füttern, Kuchen backen oder Joghurt daraus werden lassen.



Wenn die Musikindustrie Milch verkaufen würde...

Seien wir froh, dass die Musikindustrie in Wirklichkeit keine Milch verkauft. Denn das würde wahrscheinlich folgendermaßen aussehen:


1. Milch darf man kaufen, man kann sie auch trinken.

2. Eine darüber hinausgehende Verwertung ist jedoch ausgeschlossen. Wer die Milch für Kuchen, Käse oder Joghurt benötigt, hat gefälligst spezielle Kuchenmilch, Käsemilch oder Joghurtmilch zu ordern, die in separaten Verpackungen zum Kauf bereitsteht.

3. Die Milch zum Trinken darf zudem ausschließlich in nichtbedruckten, von den Milchproduzenten genormten 0,2-Litergläsern aus Weißglas konsumiert werden.

4. Die Weitergabe der Milch an Familienangehörige oder Freunde ist untersagt. Diese haben ihre eigene Milch mitzubringen.

5. Die Weitergabe der Milch und/oder Weiterverarbeitung zu Drittprodukten ist - abweichend von Punkt 2 und 4 - ausnahmsweise nur dann gestattet, wenn die Milch ohne Verpackung erworben wurde.

6. Wird gegen diese, den Milchkäufern eingeräumten Nutzungsrechte, verstoßen, wird das Haltbarkeitsdatum automatisch auf letzte Woche Montag zurückgesetzt und die Verpackung wird reißen.

7. Für Schäden, die die Milch in Einzelfällen an den mit der Milch verwendeten Gläsern hervorruft, wird kein Ersatz geleistet.


Was hier wie die Auflistung eines absurden Vergleiches aussieht, wäre wohl wahnwitzige Realität, wenn man Verbraucherinteressen völlig aufgeben und der Verwertungslobby die Gesetzgebung überließe. Wo man jedoch mit bereits jetzt verschärften rechtlichen Mitteln gegen zivilen Ungehorsam nicht ankommt, wird die technische Keule rausgeholt:



Kopierschutz

Eine CD ließ sich vor einigen Jahren noch problemlos in jedem CD-Player abspielen, egal, ob das das CD-ROM-Laufwerk des Computers, der Schlitz im Autoradio oder der gute alte Baustein in der Stereoanlage war. Seitdem viele CDs mit Kopierschutz versehen sind, fallen die Silberscheiben in diversen sensibleren Laufwerken (zu denen vor allem die in Computern verbauten gehören) öfters aus, blockieren schonmal die ganze Technik oder verseuchen das System mit Schadsoftware. Der Kopier- wird zum Abspielschutz. Funktioniert er hingegen wie er soll, dann verhindert er das Konvertieren der Musikdateien. Die Musik kann also ausschließlich von dieser einen CD in einem einzigen Gerät, dem CD-Player, gehört werden. Aber genau das wollen Konsumenten heute immer weniger. Das Mitsichherumschleppen seiner CD-Sammlung erscheint wie ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert. CDs sind allenfalls noch Sammlerobjekte, die man sich wegen der Cover ins Regal stellt. Die Lieder selbst gehören auf die Festplatte des Computers, von wo aus sie sich ganz ohne lästiges CD-Wechseln auf Mausklick zusammenstellen und abspielen lassen. Kann sich noch jemand daran erinnern, wie es früher war, als Jogger mit klobigen Walkmans (sic!) und mobilen CD-Playern am Gürtel durch die Parks liefen? Musikalische Steinzeit. Heute finden die Lieblingslieder auf einem winzigen MP3-Player Platz, rüttelfrei und stoßfest. Ironie der Geschichte: Genau diese praktische Nutzung verhindert man mit dem Kopierschutz. Auch wer deshalb das Medium "CD" ganz umgeht und Musik lieber gleich übers Internet kauft, erlebt genauso eine Überraschung: die Musikdateien enthalten dann zwar keinen CD-Kopierschutz, sind aber fast immer durch digitale Wasserzeichen (DRM) dennoch so verändert, dass sie sich nur mit bestimmter Soft- oder Hardware anhören oder z.B. nicht auf CDs brennen lassen. Dass solche Kopierschutzsysteme hauptsächlich dazu dienen, die Konsumenten davon abzuhalten, die wertvollen Lieder massenhaft weiterzugeben, und nicht dazu, den Käufer daran zu hindern, sie für den eigenen Gebrauch sinnvoll zu nutzen, interessiert den ehrlichen Käufer nicht und es wird ihm auch kaum vermittelbar sein.


ausrangierte CD



Privat oder nicht privat

Bleiben wir doch einfach mal bei vereinfachenden Vergleichen: Würden Sie sich mit Schuhen zufrieden geben, die sie nur von Montag bis Freitag tragen dürften? Die Schnürsenkel nur in violett erlaubten? Oder die man nur auf bestimmten Asphaltsorten tragen könnte? In jedem anderen Geschäftszweig hätte ein derartiges Verhalten den wirtschaftlichen Ruin zur Folge, doch im Musikgeschäft wird dieser Weg wie selbstverständlich versucht zu gehen. Und man vergisst, dass zum Geschäft auch die Kunden gehören. Diese wollen keine Musikdateien online kaufen, die nur mit bestimmter Hardware hörbar sind (ja, die sich mitunter sogar nur von bestimmten Betriebssystemen aus kaufen lassen) und "mieten" kommt ja schonmal gar nicht in Frage: ist das Abo abgelaufen, zieht man in ein anderes Land oder wechselt den Computer, dann ist auch die angelegte "Plattensammlung" futsch. Selbstverständlich darf jeder Plattenboss getrost davon ausgehen, dass er durch solche Geschäfte dauerhaft zufriedene Kunden gewinnt.

Bei all diesen unpassenden Vergleichen (Musik wird nunmal nicht weniger oder wertloser, je häufiger man sie kopiert, ganz im Gegenteil) und trotz des Verständnisses für die Interessen der Wirtschaft spielt es letztlich einfach keine Rolle: Musik will gehört werden, und das zwar mögliches komfortabel und unkompliziert, nach eigenen Vorlieben - und natürlich billig. Der Verbraucher will sich die Geräte aussuchen können, auf denen er einmal (!) gekaufte Musik abspielt. Er will Musik sammeln und "besitzen" (auch wenn das rechtlich schon immer ein Trugschluss war, siehe oben) und er empfindet alle Initiativen, daran etwas zu ändern, alle "Umerziehungsversuche" als skandalöse Einmischung in seine Privatsphäre. Echte Raubkopierer lachen seit jeher über ellenlange Belehrungen und Einschüchterungsversuche mit hohen Strafandrohungen, die einem heutzutage fast obligatorisch z.B. vor jedem Kinofilm gezeigt werden - die ehrlichen Kunden fühlen sich einfach nur gestört und brüskiert, unter Generalverdacht gestellt worden zu sein. Selbst da hat die Musikindustrie noch Nachholbedarf: vorgelesene Rechtsbelehrungen künftig vor jedem einzelnen Musiktitel - darauf warten wir schon lange sehnsüchtig.



DVD-Vergleiche

Bei der Einführung der DVD war man schlauer - diese bringt ihren Kopierschutz praktisch von Haus aus bereits mit - und läuft dementsprechend nicht auf allen DVD-Spielern. Künstliche "Ländercodes" verhindern globales Abspielen und wo das nicht reicht, werden zusätzliche Kopierschutzvorrichtungen wie bei der CD angebracht, um ebenfalls die Weiterverbreitung jenseits der eigenen vier Wände einzudämmen - mit ähnlichen Folgen.

Hier, so wird gerne argumentiert, jammert der Verbraucher ja schließlich auch nicht, wenn er seine DVDs nicht kopieren kann - und der DVD-Markt sieht im Gegensatz zu den CD-Verkäufen längst nicht so desolat aus. DVDs nutzen sich zwar auch ab, aber Sicherheitsfanatiker dürften eher die Ausnahme sein, die sich ihre DVDs am liebsten vor Kratzern schützen würden, indem sie nur Kopien in den DVD-Player legen. Aber DVDs will man auch nicht unterwegs im Autoradio "ansehen", und man hat auch nicht das Bedürfnis, Filme zum Joggen auf dem MP3-Stift mitzunehmen. Selbst für die Großfamilie reicht es, wenn ein Film einmal im Haushalt vorhanden ist, aber Musik? ("Mamaaaa, hörst Du gerade die Single von Grönemeyer...?") Das erscheint nicht praktikabel.



Robin Hood gegen den Sheriff von Nottingham

Kompetenter kann man sein Image nicht ruinieren, wie es die Musikindustrie in den letzten Jahren getan hat. Das zeigt allein schon der etablierte Begriff "Musikindustrie": Industrie, das klingt böse, menschenverachtend und umweltverschmutzend für etwas, was eigentlich Kreativität, Unterhaltung und Genuss transportieren sollte. Dass Urheber selbst über ihre Werke bestimmen sollten, soll nicht in Abrede gestellt werden, aber dass Musik nur auf einem bestimmten Gerät abspielbar sein soll oder nur von bestimmten Personen gehört werden sollte - das steht im Missverhältnis zum gesunden Rechts- und Kulturempfinden eines jeden Einzelnen. Warum also macht die Industrie das mit uns Käufern? Wieso will sie uns verbieten, legal über's Internet heruntergeladene Musikdateien auf CD zu brennen und sie somit auch auf der Stereoanlage hören zu können - oder umgekehrt: warum sollen wir Musik von CDs nicht in unseren Computern anhören und verwalten dürfen? Weil's ums Geld geht. Nachvollziehen kann man das. Verständnis hat man dafür nicht.

Das Ende ihres traditionellen Geschäftes hat sich die Musikindustrie somit selbst zuzuschreiben. Vielleicht wäre es nicht soweit gekommen, wenn man für und nicht gegen den Verbraucher gearbeitet hätte. So aber ist abzusehen, dass man einen "Tonträger" in ein paar Jahren nur noch mit einer Hilfstätigkeit im Kunsthandwerk- und Keramikgewerbe statt mit Musik in Verbindung bringen wird.



Kaufverweigerung

Man kann nur vollstes Verständnis für diejenigen haben, die schon lange um Plattenläden (gibt es die überhaupt noch?) einen großen Bogen machen, weil sie es satt haben, sich mit nicht abspielbaren und nicht kopierbaren CDs herumzuärgern und lieber zuerst versuchen, ob sie ihre MP3s nicht auch von Freunden und Bekannten bekommen können (aber viele Verbraucher durch irreführende Kampagnen bereits derart eingeschüchtert sind, dass sie legale Privatkopien für illegal halten und so etwas nie öffentlich zugeben würden) und es sich dreimal überlegen, ob sie eine DVD kaufen und sich damit das Roulettespiel antun sollen, ob sie nun eine im PC abspielbare Scheibe erwischen oder nicht - und immer öfter verzichten.

Ich kann notfalls auch ohne die Musikindustrie leben. Kann sie es auch ohne mich? Ich geh' mir jetzt erstmal ein Glas Milch holen.



Artikel vom 22.5.2006
letzte Änderung am 25.3.2008

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