"Webdesign"
Dieser
Begriff ist eigentlich schon ein Widerspruch in sich. Glaubt man
Aussagen wie z.B. auf bestviewed.de oder woodshed.de, dann tut man HTML-Seiten einen
Gefallen, wenn man sie möglichst wenig "designed". Da ist viel
Wahres dran, denn gerade mir als bekennendem Analogmodem-Nutzer
offenbaren sich im Netz allerorts Beispiele, wie man es besser
hätte nicht machen sollen: nervendes Flash, viel zu viel Graphik,
unübersichtlich-überfrachtete Portale, pseudobuntes Tralala
statt wirklicher Information - auf diese Weise haben bereits viele
Firmen mich als Kunden verloren bzw. gar nicht erst gewonnen.
In der Tat sind es gerade die ballastfreien Seiten,
auf denen man Informationen am leichtesten findet oder die man wieder
verlässt, ohne dass der Browser abgestürzt, die
Telefonrechnung explodiert oder die eigenen Augen einen nicht mehr
reparablen Schaden genommen haben.
Und um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, ich werde mir keinen neuen
Browser installieren oder einen anderen Monitor kaufen, damit ich
irgendeine bestimmte Netzseite ansehen kann. Wenn ich gnädig bin,
dann schalte ich JavaScript zu, aber das wars auch schon. Cookies
wandern sowieso ohne Umweg nach /dev/null.
Nun wird man von webtechnischer Inkompetzenz regelrecht
zugeschüttet, so dass Beispiele eigentlich jeden Rahmen sprengen
müssten, aber es gibt doch immer wieder Fälle, die aus der
Masse herausstechen. Die markanteste Auffälligkeit, die mir bisher
untergekommen ist, ist die deutsche Übersetzung des Web Style Guide, eines auch online verfügbaren Leitfadens zur Erstellung guter Webseiten, auf den Seiten der Technischen Universität Chemnitz. Unter anderem kann man dort lesen:
>>Jedes
Dokument braucht einen klaren Titel. Im Web ist das besonders wichtig.
(...) Darüber hinaus wird dieser Titel die Bezeichnung für
die Dokumentseite in der Bookmark-Datei des Anwenders werden, sollte
ihm diese interessant erscheinen. Ein irreführender oder
mißverständlicher Titel kann dazu führen, daß der
Leser die Seite nicht auf Anhieb in seiner URL-Liste
wiederfindet.<< [TU Chemnitz, http://www.tu-chemnitz.de/docs/yale/interface/interface.html] |
Soweit so gut. Und was musste ich dann sehen,
nachdem ich ein Lesezeichen auf eine der dortigen Seiten gesetzt hatte, wo auch dieser Ratschlag stand? Genau - das hier:
Ich bin mir absolut sicher, dass ich in einem halben Jahr noch mit
Bestimmtheit weiß, was sich hinter der Bezeichnung "Basiswissen"
versteckt. Tataaa - zweiter Platz, der Kandidat gewinnt eine
Kaffeemaschine!
Das Kreuz mit den Browserversionen
Wie
schon oben erwähnt, ich werde mir keine neue Hardware kaufen, nur
damit ich eine einzelne Webseite betrachten kann. Wir Nutzer sind da
sowieso in dieser Hinsicht etwas kleinkariert. Wir benutzen unsere
Lieblingsbrowser, unsere Lieblingsbetriebssysteme und mögen es gar
nicht gerne, wenn man uns den Gebrauch überflüssiger Produkte
vorschreiben möchte. Oder würde sich jemand ernsthaft ein
neues Auto kaufen, nur weil z.B. ein Parkhausbetreiber behaupten
würde, mit älteren Wagen könne man bei ihm nicht mehr
angenehm parken? Natürlich, man würde sich sofort ins
nächstgelegene Autohaus begeben und sich ein neues, passenderes
Gefährt besorgen.
Gerade bei solchen Kleinigkeiten können wir Internetnutzer sehr nachtragend sein.
Und deswegen ist diese virtuelle Bevormundung umso fataler. Ich kenne
niemanden, der wegen eines Hinweises auf einer Webseite seine
Bildschirmauflösung änderte oder sich gar einen neuen
Browser heruntergeladen und installiert hat. Man ahnt es schon - wer das von
seinen Benutzern verlangt, outet sich als inkompetent, denn es gibt
keinen vernünftigen Grund, weshalb man im auf
Interoperabilität genormten WWW bestimmte Nutzergruppen aussperren
sollte.
Wo solche Hinweise als Empfehlung zu verstehen sind, ist es eine rein
schikanierende Angelegenheit, aber wo Nutzern von "böser" oder
alter Software schlicht der Zugang verweigert wird, sollte sich der
Verursacher fragen lassen, ob das in seinen Augen wirklich noch
für Kompetenz spricht. Ein großes Portal, das sich diesen
Luxus leistet, ist Lycos. Ein Versuch mit dem Netscape Communicator 4.79 bringt statt der erwarteten Portal-Seite dieses Ergebnis:
Hier werden Nutzer älterer Browser einfach nicht mehr
reingelassen. Stattdessen erhält man den Vorschlag, sich doch
lieber einen anderen Browser zu installieren. Die Krönung ist
dabei, dass ich, wenn ich auf eine der Graphiken geklickt hätte,
die einen aktuelleren Browser versprechen, nach Stunden des
Herunterladens mit einem Analogmodem eine Software gehabt hätte,
die sich auf meinem Computer überhaupt nicht installieren
lässt - da ich kein Windows benutze, die angebotenen Links aber zu
reinen Windowsversionen führen. Für unerfahrene Nutzer
wäre das mit Sicherheit ein sehr frustrierendes Erlebnis geworden
und es gibt entgegen der landläufigen Meinung sehr wohl auch
Anfänger, die mit anderen Systemen als das des Marktführers
im Netz unterwegs sind.
Okay, ich hätte nun einfach meinen geliebten Netscape
schließen und den aktuelleren Mozilla starten können, aber
aus irgendeinem kleinkarierten Grund sehe ich das gar nicht ein. Dann
eben nicht, Lycos! Wie sagt man so schön - die Konkurrenz, die
ihre Kunden vielleicht etwas ernster nimmt, ist nur einen Mausklick
entfernt.
Mancher Webdesigner mag Gründe haben, bestimmte Software
auszuschließen, aber meistens läuft es darauf hinaus, dass
man sich einfach nicht die Mühe machen will, mehrere Systeme zu
unterstützen und lieber -bequemer- nur für bestimmte Browser
optimiert. Abwärtskompatibilität und Nutzerfreundlichkeit
bleiben so auf der Strecke. Statt zuzugeben, dass die eigenen Seiten
z.B. in älteren Browsern miserabel wirken, macht man die Tore
lieber komplett zu.
Auch meine kleinkarierten Seiten hier sind alles andere als optimal
gestaltet: In Netscape 4.7 gleichen sie einer Katastrophe (keine
PNG-Unterstützung, Probleme mit Tabellen = Graphiken tauchen an
völlig falschen Stellen auf), im Internet Explorer 6 sehen sie
auch ziemlich grottig aus (keine unterstrichenen Links, die Texte
kleben am linken Rand statt in der Mitte, einige optische CSS-Effekte
fehlen) - im Gegensatz zu großen Firmen verfüge ich auch
nicht
über die Kapazitäten, verschiedene browserspezifische
Varianten anzubieten. Für mich akzeptabel wirkten sie nur im
Mozilla und Opera 7 (und das auch nur in meiner
Bildschirmauflösung und mit meinen Schrifteinstellungen), aber ich
schließe deswegen trotzdem niemanden aus, der andere Software zum
Lesen verwendet - jeder kann beliebig auf diese Dokumente zugreifen und
selbst mit einem Textbrowser sind sie angenehm lesbar.
Auf Seiten, die einen nötigen, Software zu installieren, die
für das eigene System nicht mal verfügbar ist, verzichtet man
dann erst recht. Interssant ist dabei zu beobachten, wie sich Webmaster
mal wieder auch in Softwarefragen als zu kurzsichtig erweisen:
>>Ihr Browser unterstützt
leider kein JavaScript oder die Option wurde ausgeschaltet. Bitte laden
Sie die neueste Version aus dem Internet und installieren Sie diese
(...)<< [www.albstadt.de] |
Wäre
es nicht einfacher, die Option einzuschalten, statt gleich einen neuen
Browser herunterzuladen? Und woher will der Webmaster andernfalls denn
wissen, dass der Browser, den ich benutze, in der neuesten Version
JavaScript beherrscht?
>>Die optimalste
Auflösung und Grösse haben Sie dann, wenn Sie Ihren
Bildschirm auf 1024x768 einstellen.<< [swissmasai.com]
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Erstens
lässt sich "optimal" nicht steigern und zweitens kann man sowas in
dieser Pauschalität nie sagen - denn wenn meine
eingestellte Standardschriftgröße jenseits von 20 Pixeln
liegt, sieht die Seite auch bei 1024 x 768 (was denn übrigens -
Pixel? Zentimeter? Reiskörner?) garantiert nicht mehr gut
aus.
>>Diese Seiten sind optimiert für alle gängigen Browser ab der Generation 6 (...)<< [netz-kasten.de]
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Ach ja? Und Mozilla, Firefox, Konqueror, Lynx oder Safari sind keine
gängigen Browser? Wer entscheidet das denn bitte?
Manchmal wird es aber auch ausgesprochen komisch, um nicht zu sagen
unfreiwillig komisch: Der Internetbrowser "Opera" ist
kostenpflichtige Software, lässt sich aber auch in einer
gesponserten Gratisversion betreiben, die sich dadurch
auszeichnet, dass sie über ein kleines Sichtfenster oben rechts in der
Programmoberfläche verfügt, in welches während des
Surfens die Werbebanner der Sponsoren eingeblendet werden. Genau an
dieser Stelle warb im Herbst 2003 auch das Reiseportal Avigo. Klickte man dann auf das in Opera eingebette Banner, gelangte man ohne Umwege zu dieser Webseite:
Eigentlich ohne weitere Worte. Aber in diesem Fall machen wir eine
Ausnahme: ein dauerhafter Platz 1 für Avigo in der Kategorie
Technische Inkompetenz. Herzlichen Glückwunsch!
Artikel vom 23.11.2003
letzte Änderung am 28.9.2004
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