Radi-was?
Radi-o!
Genau, dieses äh, dieses Ding da, was meist entweder nervige Musik
quäkt, die Staumeldungen vorliest oder auch zu jeder vollen Stunde
dieselben Nachrichten verbreitet. Dieser Kasten, der da bei Ihnen in
der Küche oder im Bad steht, der bereits in Ihre Steroanlage
eingebaut ist oder den sie zu Ihrem MP3-Player oder zum CD-Wechsler im
Auto gratis dazubekommen haben (und wenn sie sowas alles nicht haben:
gehen Sie mal einfach in irgendeine Boutique, in den Supermarkt nebenan
oder - noch besser - in den nächsten Elektronikshop... genau! Das,
was Sie da in Überlautstärke von der Decke hören, das
ist Radio).
Haben Sie in letzter Zeit mal freiwillig Radio
gehört? Also so richtig aus eigenem Willen den Einschaltknopf
gedrückt? Und sich dabei nicht geärgert? Erstaunlich, denn
normalerweise braucht man nicht lange zuzuhören, um sich
ärgern zu können: Privatsender überbieten sich mit
dümmlichen Telefonspielchen, bei denen man inzwischen nicht mehr
sicher ist, ob gewisse "Mitmach"-Fernsehsender sich dort ihre Ideen
holen, oder ob das Radio einfach nur das Fernsehen kopiert; den Rest
des Programms bestreiten aufdringliche, berufsjugendliche Moderatoren,
die auf Jugendliche albern und auf ältere Generationen einfach nur
befremdlich wirken, unterbrochen nur noch von den "besten Hits" der 70er, 80er, 90er
und was sich seitdem sonst noch so als Musik ausgibt. Und die
öffentlich-rechtlichen Sender? Die versuchen, die Privaten zu
kopieren.
Ach
ja, und natürlich Werbung - laut und aufdringlich,
selbstverständlich auch im gebührenfinanzierten Rundfunk.
Schrill muss sie sein, um im normalen Weichspülerprogramm der
Sender überhaupt aufzufallen. Eine Beleidigung für die
Ohren und wahrscheinlich verantwortlich für 80% aller
Tinnitusneuerkrankungen. Dass noch niemand auf die Idee gekommen ist,
mit Stille zu werben ("diese 10 Sekunden Ruhe wurden Ihnen
präsentiert von..."), ist fast schon verwunderlich. Das einzig
Positive, das man Radiowerbung abgewinnen kann, ist die unfreiwillige
Komik, wenn sich bekannte Stars und Sternchen am Anfang der Spots immer
erst selbst vorstellen müssen, weil sie sonst niemand erkennen
würde. "Hallo, ich bin Prominenter X, und ich finde Produkt Y
toll". Entlarvender kann Werbung nicht sein.
"Hier ist der Reichssender Berlin!"
Eigentlich
hätten sich die Hörer längst abwenden müssen, denn
seinen Höhepunkt hatte das Radio bereits im Dritten Reich
erreicht: Führers Stimme an Volkes Ohr - das war eine technische
Revolution, faszinierend für die Hörer und äußerst
praktisch. Dem Radio kam damals eine Schlüsselrolle bei der
Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie zu - ebenso bewies es
seine Nützlichkeit bei der Verbreitung von Bombenwarnungen an die
Bevölkerung, als alliierte Flieger ihre Last über Deutschland
abwarfen. Die Übertragung der Olympischen Spiele 1936 direkt in
die deutschen Wohnzimmer - ebenso ein Novum wie eine Sensation. Was
danach kam, war ein stetiger Bedeutungsverlust. Als Fernseher im
Wirtschaftswunder für jeden erschwinglich wurden, war Radio fortan
nur noch "eine halbe Sache". Nur Ton ohne Bilder? Wie altmodisch.
Doch
da sich Medien eigenartigerweise niemals gegenseitig verdrängen,
sondern immer ergänzen (kann sich noch jemand daran erinnern, dass
vor ein paar Jahren bereits überall prophezeit wurde, dass
Internet und Fernsehen bald verschmolzen sein würden...?), hat
sich auch das Radio seinen Platz in der Medienlandschaft bewahrt.
Radiohören ist halt einfach sicherer als fernzusehen, während
man einen Auffahrunfall produziert.
Das Radio blieb über
die Jahrzehnte ein gefragtes Medium, und viele neue Sender kamen hinzu,
neben dem Staatsfunk entstanden auch "die Privaten". Heute nun leben
wir im Radioparadies: Hunderte
von Stationen gibt es allein in Deutschland. Und alles ist wieder
ähnlich wie im Nationalsozialismus: alle Sender bringen am
Ende das Gleiche.
Sag, wo ist die Vielfalt hin, wo ist sie gebliehiiiiieben?
Wieso
kommt die angestrebte Digitalisierung des Radios eigentlich nicht in
die Gänge? Na, weil selbst "noch mehr Sender" nicht noch mehr
Auswahl bedeuten würden. Schon jetzt besteht die Radiolandschaft
streng genommen nur aus den folgenden 5 Programmen:
1. Die Jugendwelle pseudoenglischer
Name (z.B. "Live" oder "Life" im Titel, Senderlogo mindestens in rosa
oder türkis), knallige Jingles und peinlich
dauergrinsend-krampfhaftfröhliche Moderatoren um die 35, die
vergeblich versuchen, wie 16 zu wirken.
2. Der Möchtegernrockerfunk (das
Programm für die 30- bis 50-Jährigen: Rock, Pop, meistens
jedoch Grönemeyer und Phil Collins im Wechsel. Schaltet man nur
alle 3 Tage ein, kann man exakt die gleichen Songs hören.
3. Die Einschlafhilfe die
sogenannten "Kultursender": durchgehendes Klassikprogramm oder seichte
Fahrstuhlmusik, ein Tröpfchen Jazz und am Wochenende vielleicht
mal ein Kulturmagazin, dessen Wortbeiträge länger als 3
Minuten dauern. Schaltet man nur alle 3 Wochen ein, kann man exakt die
immer gleichen Konzerte hören.
4. Der Heimatfunk Die
hörbar gemachte Rubrik der Regionalteile der Tageszeitungen:
Kaninchenzüchterverein, Töpferkurs in der Volkshochschule,
Florian Silbereisen kommt in die Stadthalle. Dazu
Geburtstagsgrüße und sonstige
Jubiläumsglückwünsche. Anspruchsvolle Melodien. An
Lokalnachrichten Interessierte sind ab Geburt selbstverständlich
ausschließlich Schlager- und Volksmusikfreunde. Keine Chance
für den Rest.
5. Die Nachrichtensuppe Die
typischen 4-Minuten-Nachrichten zu einer ganzen Stunde aufgeblasen.
Das Stundenprogramm wiederholt sich ab jeder vollen Stunde,
aufgelockert mit vereinzelten Jazz-/Swingeinlagen. Ab Mitternacht wird
das Programm von "MDR info" übernommen. |
Zur
Erinnerung: es gibt in Deutschland allein 9 öffentlich-rechtliche
Landessendeanstalten mit jeweils zig Radioprogrammen - und keine
einzige schafft es, nennenswert von diesem Schema abzuweichen. Das
Ganze nennt sich "Formatradio" - und der computeraffine Mensch
bedauert, dass man da nicht einfach mal neuformatieren kann.
Ein
Glück, dass es da also noch die Privaten gibt, die es abseits des
bürokratisch regulierten Staatsrundfunks einfacher haben, aus dem
gewohnten Muster auszubrechen - und ein deutlich differenzierteres
Programm anbieten:
Ist ja schön und gut, aber wer hört schon gern fremde Musik von egoistischen Leuten?
Morbide FM
Vor
gar nicht mal so langer Zeit war das Radio das Jugendmedium
schlechthin: Aufmüpfigkeit, Rebellion und Unangepasstsein
verkörperte nicht zuletzt das Radio, das dieses Lebensgefühl
vermittelte. Zuerst von Radio Luxemburg, später auch von den
deutschen Privatsendern und ganz zuletzt auch vom
öffentlich-rechtlichen Funk. "15 Jahre gebe ich denen noch, bis sie nur noch für Rentner senden"
schätzte ein gewisser Don Alphonso 2006. Völliger
Blödsinn, das Radio ist ein Hort der Jugendlichkeit und richtet
sich primär an ein jugendliches oder jung gebliebenes Publikum.
Hier zum Beweis eine kleine stichprobenartige Programmrückschau
der letzten Monate - frisch, fetzig und durchgestylt:
Sterbebegleitung Demenzerkrankter [DLR Kultur]
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"Lebenszeit" - Stiften, Vererben, Hinterlassen - Was bleibt, wenn man geht? [Deutschlandfunk]
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Sprechstunde Nierensteine [Deutschlandfunk]
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Virtuelle Trauerkultur [Deutschlandfunk]
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Lange (!) Nacht: Und plötzlich hatte ich Zeit - Vom Schritt in den Ruhestand [Deutschlandfunk]
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Nicht
bettlägrig zu sein (oder den Pfleger in der Nähe zu haben,
der für einen das Radio abstellt), schafft in diesen Zeiten echte
Vorteile.
Die (Nachrichten-)Zukunft liegt im Netz
...denken
die Programmmacher - und weil man immer mehr Hörer ans Internet
verliert, wird versucht, das Internet mit einzubeziehen. Allerdings
nicht so, wie man jetzt vielleicht denken würde: Statt die
Hörerinteraktion zu verbessern, wird das Internet einfach als
zusätzlicher Verbreitungsweg gesehen; deshalb darf man sich
zwischen dem Programm, den bekannten Jingles, Werbung und
Retortenmoderation nun immer öfter auch noch anhören:
"Wenn sie alles nochmal nachlesen möchten, klicken Sie sich rein in unser Internetangebot!"
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Na
klar, wer Informationen sucht, schaut als erstes auf bunte, blinkende
und schlecht zu bedienende Radiobegleitangebote. Und wer Radio
hören möchte, brennt lediglich darauf, zu erfahren, wo er das
Gehörte später nochmal nachlesen kann. Noch besser ist:
"Diese Sendung können Sie auch im Internet nachhören!"
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Man
stelle sich mal Zeitungen vor, die unter jeden Text schreiben
würden: "Diesen Artikel können Sie auch im Internet
nachlesen." Wer Radio hört, will kein Internet, sondern Radio. Und
wer Radio gerade über Internet hört, fühlt sich
völlig im falschen Film. Hat man den Sprechern etwa nicht gesagt,
dass sie längst auch im Netz senden?
Dabei
wäre erfolgreiches Radio doch so einfach, würde man ganz auf
den einzig wirklichen Vorteil des Rundfunks setzen:
Aktualität und schnelle, knappe Information für unterwegs,
ohne den Zwang künstlich starrer und unflexibler Sendepläne.
Am eindrucksvollsten versuchte das NDR 2 in den 90er Jahren, als der
Sender verkündete, man wolle die Vorteile des Radios wieder besser
nutzen und Meldungen senden, wenn sie frisch sind - nicht erst zur
nächsten vollen Stunde. Und was wurde daraus? Täglich einmal
zusätzlich feste Nachrichten um 16.40 Uhr.
Alternativen
Unser
Tipp: Kaufen Sie sich ein Kurzwellenradio (ab 7 Euro im Fachhandel) und
hören sie mal rein, was russische, japanische oder afrikanische
Sender so bringen. Ja, es gibt wirklich noch andere Welten jenseits von
UKW (das ist der Schalter, der mit "FM" an ihrem Radio beschriftet ist,
die Welle, auf der Werbung in Stereoqualität gesendet wird) und
Mittelwelle (die andere Schalterposition, da, wo es fast immer nur
rauscht) - sie werden überrascht sein. Und den einzig wirklichen
Vorteil des Radios werden Sie dann auch gleich noch genießen
können: sattes, authentisches Rauschen und Knistern wie von anno
dazumal, also genau das, was Podcasts, Audiostreams und Co. auch in 20
Jahren noch nicht bieten werden. Dann vielleicht wird man den Leuten
zwar tatsächlich erklären müssen, was klassisches Radio
einmal war, so wie man ihnen heute noch Begriffe wie Podcasting
erklären muss, aber wirklich vermissen wird es wahrscheinlich
niemand. Leider zurecht.
Artikel vom 9.2.2008 letzte Änderung am 6.11.2008
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